Lektionen, die ich gelernt habe


 

 

Ich bin nicht allein. 

Als ich im Alter von 18 Jahren die Diagnose bekam, kannte ich keinen einzigen anderen Menschen mit Diabetes Typ 1. All meine Informationen kamen von meinem Arzt, zu dem ich einfach keinen guten Draht hatte. Es hat Jahre gedauert, bis ich endlich den Weg zur Diabetes Online Community fand. Von da an war alles anders. Plötzlich war ich nicht mehr allein, sondern konnte mich mit Tausenden anderen austauschen, die vor genau den gleichen Herausforderungen standen. Bis heute ist es einfach ein großartiges Gefühl, sich in den Geschichten von anderen wiederzufinden. 

Diabetes Management ist so viel mehr als nur Kohlenhydrate zählen und Insulin spritzen. 

Mir war viele Jahre lang überhaupt nicht bewusst, dass es über 40 Faktoren gibt, die meinen Blutzucker beeinflussen. Meine Schulung bezog sich hauptsächlich nur auf das Zählen von Kohlenhydraten und auf die Auswirkung von Sport. Wie mein Blutzucker auf Adrenalin, Krankheit, Proteine und noch so viele andere Faktoren reagieren könnte, wurde mir damals nicht erklärt. Heute weiß ich: Diabetes wird von fast allem beeinflusst und beeinflusst wiederum fast alles. In der Diabetes-Therapie geht es deshalb auch nicht nur um den Körper, sondern letztlich auch um die seelische Gesundheit. 

Diabetes ist ein Marathon, kein Sprint. 

Ich möchte nicht ausschließen, dass es irgendwann eine Heilung geben wird. Keine Frage, das wäre absolut fantastisch. Mir wurde das damals bei der Diagnose direkt in Aussicht gestellt: In drei bis fünf Jahren sei es so weit. Kurios, dass so viele von uns diese Geschichte erzählen – ganz gleich wann wir diagnostiziert wurden. Immer waren es diese magischen drei bis fünf Jahre. Doch bisher ist diese Hoffnung leider enttäuscht worden. Mir persönlich tut es einfach nicht gut, mich an die Aussicht auf eine Heilung zu klammern. Ich muss im Hier und Jetzt leben. Und gleichzeitig muss ich mich damit abfinden, dass der Diabetes mich wohl doch mein Leben lang begleiten wird. Deshalb ist es wichtig, die Motivation auf lange Sicht aufrecht zu erhalten. Motivationslöcher sind dabei völlig normal. Auch Diabetes Burnout ist ein echtes Problem, das vielen im Laufe unseres Lebens begegnen wird. Wir müssen lernen, mit all dem umzugehen und im Zweifel auch um Hilfe zu bitten. 

Angst vor Folgeschäden ist Fehl am Platz. 

Mit meiner Diagnose wurden mir neben den Diabetes-Basics gleich auch einige Horrorszenarien zu Folgeschäden mitgegeben. Man erzählte mir von all den schrecklichen Dingen, die passieren würden, wenn ich mich nicht gut um meinen Diabetes kümmere. Leider war das absolut nicht der richtige Weg, um mich zu motivieren. Ängste zu schüren ist einfach nicht hilfreich, sondern bewirkt oft das Gegenteil. Vor wenigen Jahren wurden bei mir dann tatsächlich erste Folgeschäden an den Füßen festgestellt. Im ersten Moment dachte ich, dass dies meine eigene Schuld sei. Schließlich hatte man mir die Aufgabe gegeben, genau das zu verhindern. Doch der Diabetes ist nicht meine Schuld und die Folgeschäden auch nicht. Ich habe mir nichts von all dem selbst ausgesucht. Statt mit der Schuld zu kämpfen, suche ich deshalb lieber einen Weg, mit der Situation umzugehen und mit meinem Leben weiter zu machen. 

Perfektionismus ist Gift für das Diabetes-Management. 

Bei der Diagnose wurde mir vermittelt, dass es einfach werden würde, perfekte Blutzuckerwerte zu erreichen. Kein Wunder, dass ich mich wie eine Versagerin fühlte, als mir das nicht gelang. Ich dachte, ich mache alles falsch. Ich dachte, alle anderen seien perfekt – nur ich nicht. Erst als ich endlich den Kontakt zu anderen Menschen mit Diabetes fand, realisierte ich, dass niemand perfekt ist. Wir alle haben Blutzuckerschwankungen und das ist okay und normal. Heute strebe ich nicht mehr nach perfekten Werten sondern vielmehr nach der perfekten Balance zwischen guten Werten und einer guten Lebensqualität.

meine Arbeit

Manchmal fühle ich mich so, als ob ich ein Doppelleben führen würde. Denn in meinem Berufsleben spielt der Diabetes eigentlich keine Rolle. Ich habe mich schon früh auf Fundraising spezialisiert, also die professionelle Mittelbeschaffung für Notprofit-Organisationen. Ab und zu gibt es da natürlich Schnittmengen, aber bisher habe ich noch für keine Diabetes-Organsation beruflich gearbeitet. Der Diabetes ist natürlich in meinem Arbeitsalltag trotzdem immer dabei. Meine Kolleg*innen wissen davon und sehen meine Insulinpumpe und meine Glukosesensoren. Langsam gewöhnen sie sich auch daran, dass ich nicht andauernd auf die Uhr schaue, weil ich mich langweile oder gleich los muss, sondern um meinen Blutzucker zu überwachen. Und ab und zu erleben sie auch, wie ich hastig den Meetingraum verlasse und kurz darauf mit einem Trinkpäckchen zurückkehre. Aber das war es eigentlich auch schon. 

Doch nach Feierabend dreht sich bei mir fast alles um den Diabetes. Vor etwa fünf Jahren habe ich begonnen, über meine Erfahrungen mit Diabetes zu schreiben und mich in den sozialen Netzwerken mit anderen darüber auszutauschen. Daraus ist mittlerweile neben meinem Blog auch ein kleiner Shop für Diabetes-Accessoires geworden. Mein Ziel dabei ist es, das sonst oft graue Leben mit Diabetes ein klein wenig bunter und spaßiger zu machen. Fotos von Menschen zu sehen, die ihre bunt beklebten Sensoren stolz in die Kamera halten, ist für mich einfach das größte! 

Meinen Blog findet ihr unter www.pepmeup.org und meinen Shop unter shop.pepmeup.org

Neben meinem Diabetes-Blog und -Shop sehe ich mich mittlerweile auch als Patientenvertreterin. Ich setze mich für Menschen mit Diabetes ein – ganz gleich um welchen Diabetes-Typ es geht. Besonders am Herzen liegen mir zwei Dinge: 

  1. Der gerechte Zugang zu Insulin und einer guten Diabetes-Therapie in allen Ländern der Welt. Denn noch immer sterben Menschen, weil sie sich kein Insulin leisten können. Und das obwohl die Entdeckung des Insulins schon beinahe 100 Jahre her ist! 
  2. Der Umgang mit Folgeschäden: Wir brauchen Aufklärung, keine Frage. Aber was wir nicht brauchen sind Angst und Schuldzuweisungen. Folgeschäden können jeden Menschen mit Diabetes treffen. Ganz gleich wie die Blutzuckerwerte dieses Menschen waren – die Schuld trifft den Diabetes, nicht den Menschen, der damit lebt. 

Ratschlag

Mein Rat an alle Menschen mit Diabetes da draußen ist einerseits, ihren eigenen Weg zu finden und andererseits, sich mit anderen Menschen mit Diabetes zu vernetzen. Wir sind alle so unterschiedlich, dass wir uns nicht miteinander vergleichen sollten. Jeder Körper ist anders und so brauchen wir alle unsere individuelle Therapie. Doch trotzdem: Das Gefühl nicht allein zu sein, sich gegenseitig zu verstehen und zu unterstützen, ist unbezahlbar! 

 

 

 

WRITTEN BY Stephanie Haack , POSTED 08/05/20, UPDATED 08/07/20

Stephanie Haack lebt seit über 10 Jahren mit Typ 1 Diabetes. Auf ihrem Blog (www.pepmeup.org) und in den Sozialen Medien (www.instagram.com/pepmeup.diabetesblog) teilt sie ihre Erfahrungen aus dem Alltag. Außerdem engagiert sie sich global als Patientenvertreterin und vertreibt auf shop.pepmeup.org Produkte, die das Leben mit Diabetes bunter machen. s