Ein unvorstellbarer Schritt bei einem Halbmarathon: Lernen, mit T1D zu laufen.


 

 

Es ist immer schön, Menschen zu kennen, die mit Typ-1-Diabetes leben. Wir sprachen mit Henric, einem Marathonläufer mit T1D, der bloggt und postet, wie man Sport und Diabetes verbinden kann. Lies dieses Interview und lerne ihn besser kennen.

BT1: Erzähle uns von dir. Wer ist Henric?

Henric: Ich, Henric, bin 30 Jahre alt, lebe in Berlin und arbeite in einer PR-Agentur. Ich bin seit einem Jahr Typ-1-Diabetiker, ich hatte erst vor einer Woche meinen „Diaversary“.

Glückwunsch!

Henric: Dankeschön (lacht). Ich schreibe einen Blog über meine Erfahrungen mit Diabetes, und pflege dafür auch ein bisschen ein Instagram-Profil, weil ich denke, dass das heute notwendig ist. Und es hilft mir Teil der Diabetes-Community zu sein.

Wir wissen, dass du ein Läufer bist. Wie passt das zu deinem Diabetes?

 Henric: Es ist eigentlich eine ziemliche Herausforderung. Ich bin Halbmarathons gelaufen und habe auch mein Bestes bei einem Marathon versucht. Ich habe es bis zum 30. Kilometer geschafft, was so etwas wie die „magische Linie” ist, wenn der Mann mit dem Hammer vorbeikommt, und das galt auch für mich. Der Hammer traf mich hart, und wenn ich zurückblicke, könnte das das erste Anzeichen dafür gewesen sein, dass ich Diabetes bekam, weil ich sehr schlimme Krämpfe hatte. Es sah sehr nach Ketoazidose aus, aber niemand zog das in Betracht. Sie dachten nur: „der Typ hatte halt einen wirklich schlechten Marathon”. 

Nachdem ich später meine Diagnose bekommen hatte, googelte ich als Erstes „Laufen mit Diabetes“ und ich habe mir einige Blogs angesehen, las einige Bücher über Sport und Diabetes, und von Anfang an versuchte ich, beides zusammen zu bringen. Als ich mit Typ 1 diagnostiziert wurde, wurde ich ins Krankenhaus eingeliefert, weil ich mich in einer sehr heiklen Situation befand (sehr hoher Blutzucker, Ketone im Blut). Ich bin am Donnerstag im Krankenhaus angekommen, also hatte ich das ganze Wochenende vor mir. Also sagte meine Ärztin irgendwann: „Okay, wir haben das Gefühl, dass wir Sie auf einer sehr stabilen Basis haben. Wir wissen, dass Sie gerne laufen und trainieren. Warum gehen Sie nicht raus und probieren es aus? Sagen Sie es nur niemandem”. Sogar im Krankenhaus baten mich die Ärzte, Laufen einfach auszuprobieren (lacht). Ich zog also meine Turnschuhe an und rannte eine halbe Stunde. Ich fühlte mich fantastisch, weil ich endlich Insulin im Körper hatte und das Laufen endlich wieder gut anfühlte. 

Das war mein Ausgangspunkt. Seitdem habe ich entdeckt, dass Laufen und Diabetes ziemlich kompliziert sind. Zum einen kann ich ohne Probleme 30 Minuten laufen, dort ist mein Blutzucker normalerweise stabil, aber wenn man für einen Marathon oder einen Halbmarathon trainieren will, ist eine halbe Stunde nichts. Man will ab einer 3⁄4 Stunde und darüber hinauslaufen. Für das Marathontraining sind es bis zu 3 Stunden Läufe, und dafür muss man natürlich mit seinem Diabetes richtig umgehen. Ich benutze einen Insulinpen also muss meine Basalrate weit im Voraus anpassen und während des Laufs ordentlich auftanken. Ich habe viele Alternativen ausprobiert, manche Dinge haben wirklich gut funktioniert, manche Dinge sind in die Hose gegangen. Ich erinnere mich, dass die ersten Male sehr frustrierend waren, und ich endete immer mit einem Unterzucker. Es hat eine Weile gedauert, aber inzwischen weiß ich, was mich erwartet und habe sowohl Laufen als auch Diabetes ganz gut unter Kontrolle.. Manchmal habe ich noch Probleme, weil Diabetes nicht immer so leicht vorhersehbar ist. Aber jetzt habe ich meine Routine und versuche, so viel wie möglich zu trainieren.

Abgesehen davon, welche Auswirkungen hat Diabetes auf dich als Person gehabt?

Henric: Nun, ich versuche schon immer, einen gesunden Lebensstil zu führen, und auch vor meiner Diagnose war ich Vegetarier. Ich esse viel vegan, und ich trainiere viel, denn wie ich schon sagte, ich laufe Marathons. Mit Diabetes rückte das noch mehr in meinen Fokus. Von Anfang an habe ich versucht, mich so viel wie möglich zu informieren. Wie gesagt: Das Erste, was ich tat, war googeln: „Wie komme ich mit Diabetes und Laufen zurecht?“, „Wie kann ich weiter trainieren?“, „Was kann ich tun, um meinen Blutzuckerspiegel stabil zu halten?“, „Wie kann ich meinen Blutzucker auf einem guten Niveau halten?“ In dieser Hinsicht bin ich froh, dass ich es so spät in meinem Leben bekommen habe. Mit 29 hat man eine feste Routine, die verrückten Zeiten der Pubertät sind vorbei. Für mich war es relativ einfach, mich auf all diese Veränderungen einzustellen. 

Und Gott sei Dank haben wir all diese tollen neuen Spielzeuge wie Dexcom, die es einfach machen, den Blutzuckerspiegel im Auge zu behalten, was fantastisch ist. Es ist das beste Hilfsmittel, das bis jetzt für Diabetiker erfunden wurde. Was sich für mich als Person verändert hat, ist, dass ich jetzt noch bewusster auf meine Gesundheit und meine Routinen achte. Ich versuche, meinen Diabetes so gut wie möglich unter Kontrolle zu bekommen. Aber natürlich mache ich Ausnahmen. Ich will nicht 100% der Zeit im Zielbereich sein, ich nehme mir meine „freien Tage“, zum Beispiel, wenn ich bei Familienfeiern bin. Da mache ich mir nicht ganz so viele Gedanken über einen zu hohen Blutzucker. Ich trinke auch immer noch von Zeit zu Zeit Alkohol. Ich nehme mir jede freie Zeit, die ich von Diabetes bekomme, aber für 90% der Zeit habe versuche ich, so gesund wie möglich zu sein.

Wie wird T1D deiner Meinung nach in Deutschland gesehen, gelebt und erlebt?

Henric: Schwierige Frage. Ich denke, die meisten Menschen sind sich nicht bewusst, dass man es so spät im Leben bekommen kann. Das war das erste was ich erlebte, die meisten Leute fragten mich, ob ich es als Kind hatte und waren wirklich überrascht, dass ich es so erst mit 29 bekommen habe. Aber davon abgesehen fällt es mir schwer, das einzuschätzen, denn mein Vater war Diabetiker, so dass ich mir des Problems immer bewusst gewesen bin.  Ich glaube aber, dass die meisten Leute irgendwie wissen, dass Diabetes existiert, weil es immer ein Kind gibt, das Cola im hinteren Teil des Klassenzimmers haben muss, um eine Hypoglykämie zu behandeln. Es gibt immer ein Kind mit Diabetes. Außerhalb unserer Diabetes-Blase wird nicht viel darüber gesprochen. Die meisten Menschen sehen es es als eine sehr behandelbare Krankheit an, mit der die Menschen nur umgehen müssen. Und bei Typ-2-Diabetikern,glauben die meisten Leute, dass die Menschen es nur bekommen, weil sie zu viel Zucker essen, aber das ist eine andere Diskussion.

Würdest du sagen, dass es in Deutschland eine starke T1D-Community gibt?

Henric: Ich bin erst seit einem Jahr Diabetiker, aber ich weiß, dass es eine starke Diabetikes-Community gibt, aber bis jetzt war ich kein großer Teil davon, teilweise wegen Corona. Es gab nicht viele Möglichkeiten, an geselligen Treffen oder ähnlichem teilzunehmen, aber das ist auch der Grund, warum ich den Blog und die Instagram-Seite gestartet habe. Damit war es einfacher, sich mit anderen Typ-1-Diabetikern zu verbinden, zu sehen, was sie vorhaben und  von überall auf der Welt Inspiration zu bekommen. Es gibt so viele fantastische Influencer da draußen, die wirklich erstaunlich sind. Das mich inspiriert, mich vom Diabetes nicht unterkriegen zu lassen.

Hast du mit deinem Blog und deinem Instagram-Account das Gefühl, dass du Menschen mit Diabetes in Deutschland oder anderswo auf der Welt beeinflusst hast?

Henric: Ich sehe, dass ich Interaktion bekomme, was wirklich fantastisch ist. Leute suchen immer nach neuen Leuten, um sich zu verbinden, und um sich gegenseitig Fragen zu stellen. Da geht es um Fragen wie: „Was machst du, wenn du läufst?“, „Was benutzt du als Treibstoff?“, „Wie gehst du mit Diabetes in deinem Beruf um?“. Ich denke, je mehr Blogger und Instagrammer es auf der Welt gibt, desto besser. Jeder kann auch nur ein wenig positiven Einfluss haben, indem es normaler wird über Diabetes zu sprechen. Ich habe nicht viele Follower, ich denke, die meisten Leute, die mir folgen, kennen mich persönlich. Aber auch das ist toll, denn für einige von den Leuten ist es das erste Mal, dass sie von Diabetes hören und wie Menschen mit Diabetes umgehen, und was unsere Probleme sind und wie kompliziert es manchmal ist. Also, ich denke, selbst mit etwas mehr als 100 Followern kann man eine positive Auswirkung auf Menschen mit und ohne Diabetes haben.

Was sind deine Pläne für dich und den Blog? 

Henric: Die Sache ist die, wenn man über Pläne spricht, hat man ein bisschen Druck, das auch zu tun, oder? Einer meiner Pläne ist es, nächsten Frühling einen Halbmarathon zu laufen. Das ist mein nächstes großes Ziel, sportlich gesehen. Ich will wirklich wieder ins Laufen einsteigen. Im Moment konzentriere ich mich nocht auf andere Dinge in meinem Leben, aber ich denke der Frühling wäre eine gute Zeit, um wieder ernsthaft mit dem Langstreckenlauf anzufangen. Für meinen Blog versuche ich natürlich, ihn zu vergrößern und weiter zu schreiben. Ich weiß nicht, vielleicht werde ich auch andere Medien ausprobieren. Wer weiß, was die Zeit bringt. Vielleicht versuche ich es mit einem Podcasts oder TikTok. Ich weiß es nicht. Ich probiere einfach Dinge aus und sehe, wohin sie mich führen. Es macht mir viel Spaß, das alles zu machen und ich liebe es zu schreiben, deshalb habe ich den Blog gestartet.

Und schließlich, wie können wir dich in den sozialen Medien finden?

Henric: Ihr findet mich unter @typeonejourney_de auf Instagram und mein Blog ist typeonejourney.de

 

 

WRITTEN BY Inés Gómez, POSTED 08/13/21, UPDATED 12/14/21

Inés hat Diabetes Typ-1 seit 2004. Sie wohnt in Mexiko Stadt, sie studiert Internationale Beziehung in Universität und sie trat Beyond Type 1 in 2021. Ines hat zwei Hunden, die ihre ganze Leben sind. Sie lese gern und sie mag Fußball sehr. Sie hat in München gewohnen und sie betrachtet Deutschland als ihre zweite Heimat.